Erster "tpc creaTVty award" geht an Julia Kälin, Andreas Müller und Barbara Naegelin

Am Freitag, 15. November, wurde im Studio 1 des tv productioncenter zürich (tpc) erstmals der gemeinsam durch das tpc und die Hochschulen für Gestaltung und Kunst von Basel, Luzern und Zürich geschaffene Nachwuchs-Förderpreis "tpc creaTVty award" verliehen. Als Preisträger teilten sich Julia Kälin, Andreas Müller und Barbara Naegelin das Preisgeld von 15'000 Franken.

Im Rahmen der Award Night im Studio 1 des tpc wurden am 15. November die nominierten Arbeiten des "tpc creaTVty award" präsentiert und die drei PreisträgerInnen ausgezeichnet. Es sind dies Julia Kälin (HGK Luzern) für das Werk "Julias Backstube" (drei Teile mit DV "Aus glücklichen Tagen", Videoinstallation "Soufflés 1-5" und Videoinstallation "Mehl waagrecht"), Andreas Müller (HGK Zürich) für den Film "Joshua" (Spielfilm, 35mm) und Barbara Naegelin (HGK Basel) für "Balanced Indifference" (Videoinstallation mit zwei Monitoren).

Mit dem "tpc creaTVty award" wollen die Initianten - das tpc und die Hochschulen für Gestaltung und Kunst in Basel, Luzern und Zürich - ein Forum für innovative audiovisuelle Ideen junger Talente schaffen. Bei der ersten Auflage des neuen Förderpreises wurden die DiplomandInnen der Deutschschweizer Fachhochschulen für Gestaltung und Kunst eingeladen, mit ihren Abschlussarbeiten am Wettbewerb teilzunehmen.

Die Jury setzt sich aus Experten aus Film und Video, Kunst, Multimedia, Werbung und Medien zusammen und besteht aus Cyril Böhler (Filmkomponist), Alfredo Briccola (Creative Consultant),
Dr. Jacqueline Burckhardt (Präsidentin Eidgenössische Kunstkommission), Stefan Jäger (Filmschaffender/Regisseur), Martin Roth (Geschäftsleitung Belleville AG), Monika Schärer (Redaktorin SF DRS), Annina Zimmermann (Kuratorin und Videokünstlerin) und Verena Zollinger (Geschäftsführerin und Produzentin TCC Film AG).

Hohes Niveau der Fachhochschulen
Roger Sidler, Geschäftsleiter tpc, zeigte sich über die Qualität und Individualität der eingereichten Werke erfreut: "Die Arbeiten, aus denen auch erfahrene Kreative, Kommunikatoren und Produzenten neue Impulse holen können, verdienen es, einem breiteren Fachpublikum präsentiert zu werden."

Für Tobias Wyss, Studienbereichsleiter Video der HGK Luzern, ist der Wettbewerb ein willkommener Test für die jungen KünstlerInnen: "Unser Studienbereich Video legt grosses Gewicht auf eine breite Palette gestalterischer Ausdrucksformen, je nach der individuellen Neigung und Ausdruckskraft der DiplomandInnen". Er positioniert seinen Bereich deshalb nicht als reine Filmklasse mit Schwergewicht Spielfilm, auch nicht nur spezialisiert auf Dokumentar-, Experimentalfilm oder Multimedia-Arbeiten; vielmehr suchen die DiplomandInnen den Rändern oder Grenzen der genannten Genres entlang, inklusive Grenzüberschreitungen. Wyss weiter: "Es ist deshalb von grosser Bedeutung, dass wir unsere Vielfalt gemeinsam mit anderen schweizerischen Film-/Videoschulen einer Jurierung stellen können. Der Förderpreis macht Sinn, weil er einen Vergleich erlaubt und Überlegungen zu Gemeinsamkeiten und klaren Unterschieden, weil er eine Positionierung einzelner Schularbeiten und damit auch des Studienbereichs ermöglicht. Schliesslich besonders auch, weil er auf eine gute und kreative Art Öffentlichkeit schafft. Die zukünftige multimediale Szene hängt zentral von unserem eigenen Selbstverständnis als GestalterInnen ab: Damit meine ich den Willen, Eigenständiges zu schaffen, weil sonst die unermesslichen Möglichkeiten des Kopierens und Anpassens an irgendwelche Trends zu einer verheerenden Leere führen können. Offenheit ist schon gut, aber nur wenn das Eigene dabei nicht verloren geht."

Lucie Bader, Co-Leiterin Studienbereich Film/Video der HGK Zürich wertet die Zusammenarbeit positiv:: "Das breite Netzwerk in der audiovisuellen Landschaft ist für die Filmausbildung von grosser Bedeutung und eröffnet den jungen Filmschaffenden verschiedenste Einstiegsmöglichkeiten ins Berufsleben. Ein europäischer Kurzfilmpreis, ein "Cristallo" für den besten schweizerischen Auftragsfilm, eine Nomination für den Schweizer Kurzfilmpreis, Studienprämien an Diplomfilme und viele andere Auszeichnungen sind in den letzten Jahren an Filmproduktionen aus dem Studienbereich Film/Video der HGK Zürich verliehen worden. Das ist ein Zeichen der Anerkennung für die studentischen Filmarbeiten, aber auch ein Ausdruck dafür, dass die Schule sich als Teil der Audivisionsbranche etablieren konnte."

Die prämierten Arbeiten (Urteile der Jury)
Joshua von Andreas Müller (Spielfilm, 35mm)
Andreas Müller hat mit seinem Abschlussfilm "JOSHUA" bewiesen, dass er ein Auge hat für die Bilder, die das Kino spannend und einzigartig machen. Seine filmische Parabel wirkt nach: Angesiedelt im Niemandsland wird die Geschichte eines jungen Zöllners erzählt, der an seine Grenzen stossen muss, um sich dahinter selbst zu entdecken. Der Film entführt den Zuschauer in eine eigene Welt, er stösst uns in magisch-surreale Momente und fesselt mit einer eigenwilligen Dramaturgie. Der Regisseur lebt grossen Vorbildern nach, ohne dabei seine eigene Sprache zu vergessen. Er erzählt ernst und ironisch, spannend und ungewöhnlich. Und er lässt Raum für eigene Bilder.

Balanced Indifference von Barbara Naegelin (Videoinstallation mit zwei Monitoren)
Barbara Naegelins Videoinstallation "Balanced Indifference" zeigt zwei Monitore mit zwei Bildern, die sich zunächst wie Zwillinge gleichen: zweimal der Auftritt der Künstlerin, zweimal ihr Gesicht in Nahaufnahme. Kleine, repetitive Handlungen - sie schabt mit einem Messer ihre Achselhaare, sie schlägt ihren Schädel rhythmisch an die Wand - suggerieren weibliche Kosmetik und Selbstkasteiung, aber nur als Spiel, das zugleich den Takt angibt für das nun einsetzende Lied. Die Stimme der Künstlerin ist unverstärkt, fragil und doch tragend. Sie singt mit sich selbst das berühmte Duett von Nancy und Frank Sinatra, von Nicole Kidman und Robbie Williams. Ist sie ihrer selbst sicherer vielleicht im rechten Bild? Oder täuscht das herbere Auftreten, die glatter zurückgekämmten Haare? Ist vielleicht doch die Linke schmeichelnder, agiler? Sind es weibliche und männliche Aspekte, die sich hier in (Selbst-)Liebe begegnen? Der Künstlerin ist mit dieser Performance für die Kamera mit bescheidenem technischem Aufwand und grosser, sich selbst verausgabender Präsenz und Direktheit eine Inszenierung gelungen, die sich die Vorlage des Popsongs subversiv und mühelos zu eigen macht und verkehrt zum authentischen Ausdruck zwiespältigster Gefühlswelten.

Julias Backstube von Julia Kälin (drei Teile mit DV "Aus glücklichen Tagen", Videoinstallation "Soufflés 1-5" und Videoinstallation "Mehl waagrecht")
Julia Kälin schafft es mit "Julias Backstube", den Besucher über seine Sinneswahrnehmung und Erinnerungen in eine - im eigentlichen Sinn des Wortes - virtuelle Backstube zu entführen. Dabei verblüffen weniger die Symbole, die sie verwendet. Vielmehr fesselt, was sie aus ihnen macht. Komplizenhaft nehmen wir Teil an einer Wanderung des Geistes und Körpers durch die Welt der Backstube; ein virtuoser nächtlicher Streifzug durch Mutters Küche. Mit grosser Präzision setzt sie die Mittel ein. Ihre Arbeit ist formal und ästhetisch konsequent. Sie besteht aus drei Teilen, die in sich geschlossen sind: Ein Video-Loop zeigt im Panorama-Format zerstäubendes Mehl an Händen vorbeigleiten und zu Boden fallen. Auf fünf kleinformatigen Bildschirmen werden mit Hefe gefüllte Behältnisse aus Stoff, Papier und Plastik präsentiert. Im Zeitraffer dehnt sich die Hefe langsam aus, sprengt ihre "Haut" an der schwächsten Stelle und quillt aus ihr heraus. In einer Videoprojektion werden verschiedene Lebensmittel vor wechselndem monochromem Hintergrund zum artistischen Werkzeug. Julia Kälin gelingt ein müheloses, leichtfüssiges und dabei eigenwilliges Spiel mit dem Alphabet der Backstube, immer mit dem Betrachter vor Augen, nie zum Selbstzweck. Sie schafft es, genau auf dem Grad zu balancieren, wo Aufmerksamkeit nicht vor Ekel kapituliert.

Die weiteren nominierten Arbeiten (Urteile der Jury)
Der Komplex von Fabienne Bösch (Dokumentarfilm, 35mm)
"Der Komplex" lässt uns in unterhaltsamer Weise an der Geschichte des Zürcher Locherguts teilhaben. Die persönlichen Alltagsgeschichten, die Ansichten und Anekdoten der so unterschiedlichen Bewohner und Bewohnerinnen geben einen sehr intimen Einblick in deren Leben im ersten Hochhaus von Zürich. Durch geschickte Montage wurden alte Filmbeiträge über die Entstehungsgeschichte mit der nicht mehr so euphorischen Gegenwart verknüpft. Und dank der fixen und sehr direkten Kameraeinstellungen ist Fabienne Bösch ein differenziertes und eigenständiges Porträt des Locherguts gelungen.

Pausen von Claudia Schmid (zwei Teile mit Videoinstallation "Pause" und Videoband "Zwischen jetzt und später")
Das "Dazwischen", die "Pausen", das "Stillstehen" werden in der Arbeit von Claudia Schmid nicht nur sicht-, sondern auch erlebbar. Die Installation - auf eine schmelzende Eisplatte projizierte Bilder, deren Geschwindigkeit durch das tropfende Eis via Tonabnehmer gesteuert werden - zeugt zugleich von technischem Flair und grosser Sinnlichkeit. Die neben der Installation gezeigten Filme untersuchen akribisch das Thema "Pausen". "Work in Progress" geprägt von Dringlichkeit und Präzision.

Balkan TV von Zelika Marusic (Videoinstallation)
Marusic Zeljka entdeckte für ihre Videoinstallation einen unvermuteten Winkel im Raum und verwandelte sie mit Karton, Klebband und skulpturalem Geschick in eine Höhle mit überraschendem Ausblick. Besucher erklimmen eine steile Leiter und werden belohnt mit Gemütlichkeit: mit Fellen ausgestattete Sitzgelegenheiten bieten einen sicheren Hort für den Ausblick auf Meer und sonnige Klippen. Das projizierte Bild durchdringt die Wand. An der Kante der Felsen balanciert die Figur der Künstlerin, auch sie - wie wir - dem Schein von Weite und Natur zugewandt. Trotz den ganz offensichtlich rudimentären Mitteln verwischt Zelika Marusic gekonnt die Wirklichkeitsebenen - was ist abgefilmtes Bild, was Montage? Was Skulptur, was Bild? Was realer Blick, was imitierte Natur? Die Arbeit ruft grosse Vorbilder auf - die romantische Natursehnsucht und -entfremdung von Caspar Wolf und Caspar David Friedrich etwa, das Höhlengleichnis Platons - tut dies aber leichtfüssig und souverän. Die Arbeit ist auch zu sehen im Zusammenhang mit dem Engagement der Künstlerin für ihr Projekt "balkanTV", das sich auf andere Weise auch mit der Manipulation und Aneignung medialer Bilder auseinandersetzt.

Das Bild (1.2 MB) der Preisverleihung kann heruntergeladen werden unter:
http://www.tpcag.ch/creatvtyaward/img/bild1_gross.jpg