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La Dolce Vita |
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Vorsichtig fährt die dunkle Staatskarosse den vom Regen ausgewaschenen Kiesweg zum Schloss Teufen hoch. Der Wagen stoppt vor dem schottisch anmutenden Landsitz. Ein Chauffeur steigt aus und öffnet die hintere rechte Tür. Staatssekretär David Syz, Direktor des Staatssekretariates für Wirtschaft (seco), entsteigt dem Wagen. Der filmbegeisterte Syz hat von seinem Mitarbeiterstab zum Geburtstag einen Drehbesuch bei «Lüthi und Blanc» geschenkt bekommen. «Das Faszinierende an diesem Medium ist, dass man Ideen in einer Art und Weise umsetzen kann, mit der man die Leute direkt erreicht. Viel mehr als mittels der Lektüre. Die Spontaneität und Direktheit dieser Kommunikationsform beeindruckt mich», so Staatssekretär David Syz. Im Schloss, das auch dem 1988 mit vielen bekannten Schweizer Schauspielern gedrehten Spielfilm «Klassezämekunft» als Kulisse diente, sind die Dreharbeiten zu dieser Zeit voll im Gang. Die Mitarbeitenden des tpc bauen in einer Drehpause eifrig die technischen Einrichtungen für die nächste Szene um. Denn im Gegensatz zum studiodreh kommt hier nur eine anstelle von drei Kameras zum Einsatz. Der Aufwand ist dementsprechend gross: Für jede Einstellung muss die Kamera umpositioniert werden. Drehpause bedeutet für die tpc-Crew anstrengende Schwerarbeit. Das Ambiente wirkt kühl in dem eher geheimnisvollen Schlossinnern. In einem durch eine Fensterfront abgetrennten Raum sitzt ein halbes Dutzend weiss gewandeter Statisten. Über der Wand des Atriums hängt ein Bild mit dem übergrossen Konterfei eines bärtigen, älteren Herrn, der gebieterisch das Geschehen betrachtet. «Hierwird gerade eine Sektenszene gedreht», erklärt ein Crew-Mitglied. Regisseur Ralf Bridle gibt der Schauspielerin Esther Gernsch Anweisungen für die nächste Einstellung. Bridle, der bereits in den deutschen Kult-Soaps «Unter uns» und «Gute Zeiten, schlechte Zeiten» Regie führte, ist bei «Lüthi und Blanc» kein Unbekannter. Der Deutsche war gewissermassen Regisseur der ersten Stunde und drehte die Folgen 1 bis 16 der ersten und bislang einzigen Schweizer Soap. So schliesst sich nun mit der 12. Staffel ein Kreis. Dies heisst aber nicht, dass die Produktion «Lüthi und Blanc» nun beendet wird. Gernäss Produzent Peter-Christian Fueter von C-Films ist noch «kein Ende geplant. Sicher wird das Publikum 'Lüthi und Blanc' bis im Sommer 2003 sehen können. So weit produzieren wir noch in diesem Jahr - insgesamt 140 Folgen. Die Chancen, dass es weitergeht, sind meines Wissens gut.» Seifenopern sind immer noch im Trend - nicht mehr nur in Deutschland, sondern mit «Lüthi und Blanc» nun auch in der Schweiz. Seit dem 10. Oktober 1999 strahlt SF DRS jeweils am Sonntagabend ab 20 Uhr die Serie aus. Die einzelnen Folgen werden von SF DRS produziert, französisch und italienisch synchronisiert und zeitverschoben rund ein halbes Jahr später in den anderen Regionen der Schweiz ausgestrahlt. Die Familiensaga um eine schweizerische Schokoladendynastie hat bereits einigen Medienforschern Appetit auf eine Untersuchung gemacht: An der Universität Fribourg wurde kürzlich ein Forschungsprojekt abgeschlossen. Die Ergebnisse des Projektes mitdem Titel «Das Integrationspotenzial einer nationalen Seifenoper am Beispiel der Serie 'Lüthi und Blanc'» wurden vor einem Jahr dem Bundesamt für Kommunikation vorgelegt und sollen demnächst publiziert werden. Über 900'000 Zuschauer verfolgen die Serie und die Zweitausstrahlung wöchentlich. Am 12. Mai wurde die hundertste Folge ausgestrahlt. Was ist das Erfolgsrezept? Dazu Produzent Peter-Christian Fueter: «'Lüthi und Blanc' zeigt, wenn auch dann und wann bewusst etwas überspitzt, unseren Deutschschweizer Alltag. Die Menschen sprechen in unserer Sprache, in Schweizerdeutsch. Es werden gute, spannende Geschichten erzählt mit lebendigen Figuren, die hervorragend von namhaften Schauspielern verkörpert werden.» Doch mit dem Ursprung der Soap Opera hat «Lüthi und Blanc» (glücklicherweisel wenig gemein. Statt Weichspüler gibts knackige Schokoladenkost. Seifenopern entstanden um 1920 in Amerika. Damals warben kurze, aus dem Alltag gegriffene Filme und Hörspiele für Waschmittel - daher der Name Soap Opera. Zielgruppe der kleinen Episoden waren hauptsächlich Hausfrauen. Allmählich nahm die Beliebtheit der Kurzfilme zu, die Seifenoper wandelte sich zu einem mehrheitsfähigen Sendeformat und schaffte schliesslich den Sprung ins Vorabend- oder gar Hauptabendprogramm. Soap Operas drehen sich um alltägliche Geschichten. Die Aktionen der vielfältigen Personen werden dabei zu parallelen Handlungssträngen verknüpft. Jede Episode endet auf dem Höhepunkt mit einem offenen Schluss, einem so genannten «Cliffhanger». Aufnahmeleiterin Nicole Schmid von C-Films organisiert die Aussendrehs. Für den Dreh der Sektenszene musste eine Jugendstilvilla oder ein ähnliches Gebäude gefunden werden. Kein leichtes Unterfangen. Sie bekam schliesslich von Produzent Peter-Christian Fueter den entscheidenden Tipp, doch das Schloss Teufen zu besichtigen. Nach der technischen Reko wurde dieses für gut befunden und fungiert nun für «Lüthi und Blanc» als Sektenzentrum. Aus dem Hintergrund beobachtet die 28-Jährige die Szenerie und gibt via Funkgerät Anweisungen an die Mitarbeitenden. «Auf dem Set sind wir wie eine grosse Familie. Jede Person ist Teil eines Puzzles und als solcher wichtig, damit die Produktion erfolgreich verläuft» , charakterisiert Nicole Schmid die Zusammenarbeit. Bereit zur Aufnahme. Regisseur Ralph Bridle gibt das Zeichen. «Tönler» Hannes Wulf vom tpc ist bereit, der Kameramann ebenfalls. «Und bitte!» Schauspielerin Esther Gemsch, in der Rolle als Lisbeth Rohner, betritt energisch das Atrium, schwingt die Handtasche, blickt sich flüchtig um und steuert zielstrebig auf den Empfang zu. Wer in die Fänge der geheimnisvollen Sekte geraten ist und warum, sei an dieser Stelle noch nicht verraten. Mehr dazu in Folge 110, die voraussichtlich am 20. Oktober dieses Jahres ausgestrahlt wird. «Cut!» Die letzte Einstellung vor der Mittagspause ist «im Kasten». Kameramann Stefan Tüscher bittet Staatssekretär David Syz zur Kamera und zeigt ihm das technische Wunderwerk. Der Staatssekretär lässt sich nicht zweimal bitten und setzt sich auf den ansonsten nur dem Kameramann und der Kameraassistenz vorbehaltenen Sitz. «Wenn jemand von uns die Kamera berührt, kostet dies eine Kiste Champagner», kommentiert Schauspielerin Esther Gemsch mit gespielter Entrüstung diese «unsägliche Entweihung und den Verstoss gegen den Ehrenkodex der Kameraleute». Die übrige Crew schmunzelt und lässt die Finger von der Kamera - sonst könnte es teuer werden. Szenenwechsel. Glattfelden. Etwas trist mutet sie an, die Stimmung vor dem Studio, in dem die Innenaufnahmen für «Lüthi und Blanc» gedreht werden. In unmittelbarer Nähe zeugen die hohen Zäune um die «Big Brother»-Container vom verblassten Boom der Reality-Formate. Geschichten, die das Leben schreibt, werden nun in der benachbarten alten Fabrikhalle gedreht. Die 1983 geschlossene Halle war ehemals eine Spinnerei und wurde innert kürzester Zeit zum grössten Filmstudio der Schweiz umfunktioniert. Auf rund 2000 Quadratmetern befinden sich insgesamt 14 Schauplätze mit 34 verschiedenen vom tpc aufgebauten Sets. Rund 700 Scheinwerfer setzen jede Szenerie ins richtige Licht. Fast täglich finden nach Drehschluss Führungen statt. Im vergangenen Jahr besuchten knapp 11'000 Interessierte die Studios. Staatssekretär David Syz zeigt sich beeindruckt von der Illusion der Dekors, die von Produzent Peter-Christian Fueter auf einem Rundgang erklärt werden. Auf grosses Interesse stossen auch die technischen Vorgänge: Die einzelnen Szenen werden mit drei Kameras eingefangen und im studioeigenen Regieraum live geschnitten und vertont - eine Nachbearbeitung wird damit hinfällig. So entstehen täglich fast zehn Minuten Video, auf Aussendrehs, sind es maximal fünf. Nach vier Tagen ist eine 26-minütige Folge abgedreht. Das tpc stellt dabei einen Teil des Equipments und der Mitarbeiter. Für Peter Wulschleger, Leiter ENG , hat die Produktion einen sehr hohen Stellenwert «Mit 'Lüthi und Blanc' erhalten wir bestehendes Wissen und gewinnen neues Know-how. Die überaus interessante und anspruchsvolle Arbeit bietet für jede Charge eine grosse Herausforderung. Das tpc kann nicht nur Aufgaben im Doku- und Newsbereich abdecken sondern wendet seine Erfahrungen auch immer mehr Fiktion an - ein Feld, das leider allzu lange Zeit brachlag.» «Ich habe mich gefreut, Herrn Syz persönlich kennenzulernen und feststellen zu dürfen, dass er sich für Film und Fernsehen weit über das übliche Mass hinaus interessiert», sagt Peter-Christian Fueter nach dem Besuch. «Ebenso hat mich gefreut, dass der Herr Staatssekretär sich von unserem Studio und unserer Arbeit ehrlich beeindruckt gezeigt hat. Ich denke, er konnte sich davon überzeugen, dass sich das schweizerische Film- und Fernsehschaffen international keineswegs verstecken muss.» Staatssekretär David Syz zeigt sich angetan von der für ihn «fremden Welt»: «Meine Vorstellungen wurden bestätigt, dass dies eine äusserst spannende und vielfältige Branche ist. Eine, die volkswirtschaftlich nicht bekannt - vielleicht sogar verkannt - ist. Und in der Schweiz ein Potenzial hat, das man deutlich vergrössern könnte.» Am meisten beeindruckt habe ihn die Tatsache, wie viel Detailarbeit und wie viel Teamwork dahinter stecke. «Normalerweise sieht man einen Vorspann und den Abspann, aber dabei hat man keine Ahnung, was die Beteiligten alles machen und wie sie zusammenarbeiten müssen.» Und wie findet David Syz die Serie «Lüthi und Blanc»? Mit einem herzlichen Lachen meint der Staatssekretär: «Ich muss gestehen, dass ich die Serie nochniegesehen habe, denn wenn sie gesendet wird, bin ich immer unterwegs nach Bern.» Nach Bundesrat Moritz Leuenberger besuchte mit David Syz nun auch der höchste Bundesangestellte «Lüthi und Blanc». Doch im Gegensatz zum damaligen Bundespräsidenten reichte es dem Staatssekretär zeitlich nicht zum Mitwirken vor der Kamera. Dafür erhielt er einen spannenden Einblick in die Schokoladen- und Schattenseiten des Filmernachens und in die Geschichten der Familiendynastie «Lüthi und Blanc», die mal zartbitter wie Cremant-Schokolade, mal knackig wie Haselnussschoggi, mal leicht schmelzend wie Nougat oder überraschend wie eine Pralinefüllung sind. Geschichten, die von Headwriterin Katja Früh und ihrem Team aus dem süssen Leben gegriffen werden. Text: Peter Küchler Fotos: Nick Spoerri | |||||||||||||