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Live-Marathon für Kurzstrecken |
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Der Athlet mit der Startnummer 101 jubelt. Der Marokkaner Brahim Boulami verbessert vor 23Õ000 begeisterten Zuschauern im Zürcher Letzigrund seinen eigenen Weltrekord Über 3000 m Steeple um 2,11 Sekunden auf 7:53:17. FÜr dieses Fernsehbild, welches nun von den verschiedensten TV-Stationen weltweit ausgestrahlt wird, ist Regisseur Jochen Vogel zusammen mit der tpc- Crew im Reportagewagen XL1 und den Kameraleuten im Stadion verantwortlich. Der World Feed - so der Fachausdruck dieser Bild- und Tonübertragung, die weltweit ausgestrahlt wird - verlässt das Stadion per Lichtleiter von einer jener fest installierten Stationen, die es seit kurzem in allen Fussball- und Eishockeystadien in der Schweiz gibt. Abgesichert wird das Ganze durch eine Satellitenverbindung. Mitarbeitende von 18 ausländischen TVStationen sind selbst nach Zürich gereist und stellen das Programm für ihren Sender vor Ort zusammen. Währenddem sich Brahim Boulami von den Zuschauern feiern lässt, werden im XL2 unter der Regie von Walter Chiovato die Disziplinen Hoch- und Weitsprung sowie Diskus im Bild eingefangen. Diese Bilder dienen später als Einspielung zwischen den Läufen. "Die Herausforderung liegt darin, die spannendsten Momente zu zeigen", erklärt Chiovato seine Aufgabe. Die Highlights bei Weltklasse Zürich sind eindeutig die Läufe. Die TVZuschauer setzen ihre Messlatte für die Bildqualität auch bei den technischen Disziplinen hoch an. Gefragt sind spektakuläre Bilder. Fehlversuche im Hochsprung oder im Diskus interessieren selten. Die Pausen zwischen den Läufen treffen sich jedoch nicht immer mit dem Start der besten Diskus- und Speerwerfer oder Hoch- und Weitspringerinnen. In solchen Situationen ist die Fähigkeit des Cutters gefragt: Mit dem richtigen Schnitt gilt es, die Realität spannender zu machen, als sie ist. "Etwas "Bschiss" gehärt dazu - das heisst, die Abfolge der Bilder entspricht nicht immer der tatsächlichen Chronologie", so Marcel Portmann. Auffallend ist die Ruhe, mit welcher Regisseur Chiovato seine Anweisungen gibt - sei es während der zwei "heissen" Proben am Nachmittag oder während der zweidreiviertel- sündigen Livesendung am Abend. "René, bitte den Athleten abholen - und top", lautet beispielsweise die Regieanweisung an den Kameramann. "Die Ruhe brauche ich, um bei allfälligen Pannen rasch und Überlegt reagieren zu können", sagt der erfahrene Regisseur. Was bekommt er selbst von diesem sportlichen Anlass mit? "Nichts. Ich kann nach Sendeschluss nicht einmal mehr sagen, wer im Weitsprung gewonnen hat." Zeit für einen kleinen Wortwechsel zum aktuellen sportlichen Geschehen im Stadion bleibt dennoch. Elektroniker Heinz Kohler fragt sich, nach dem 100-Meter-Lauf der Frauen, als die Siegerin Marion Jones den Überreichten Blumenstrauss postwendend Richtung Zuschauer wirft, warum den Siegerinnen und Siegern Überhaupt Blumen geschenkt werden. Und im Container Recording leidet Bildredaktor Markus Schimmer mit André Bucher während dessen 800-Meter-Lauf: "Schau mal, wie Bucher rot anläuft im Gesicht. Sein Tempo reicht nicht für einen Podestplatz." Im zusätzlichen Reportagewagen M1 wird das Spezialprogramm von SF DRS für die TV-Zuschauer in der Deutschschweiz zusammengestellt. Unter der Regie von Beni Giger wird der World Feed Übernommen und mit Aufnahmen von vier weiteren Kameras ergänzt. Sportkommentatoren Peter Minder und Stefan Bürer kommentieren die Bilder für SF DRS, welches die schweizerischen Bedürfnisse ins Zentrum rückt. So wird André Bucher - lange vor seinem Start - immer wieder kurz eingeblendet. Entscheidend für das Gelingen einer solchen Aussenproduktion ist die Kommunikation untereinander. Dafür werden von Tonmeister Willy Zürrer sowie den Tontechnikern Thomas Neuenschwander und Beat Joss Hunderte von Tonleitungen geschaltet. Hansjürg Holliger, der Projektleiter der Aussenproduktion Weltklasse Zürich, kommt in den XL2 und ist mit der Arbeit seines Teams sehr zufrieden. Alles läuft nach Plan. Holliger ist ein Profi. Seit 31 Jahren arbeitet er beim Fernsehen. Seine Laufbahn begann als Bildoperateur. Später arbeitete er als Elektroniker und Übernahm danach als Projektleiter die Organisation von solchen Grossproduktionen. Die Leichtathletikveranstaltung im Letzigrund kennt er aus dem Effeff. Und dennoch, den Plan für die Kamerastandorte und die Abläufe erstellt er jedes Jahr neu; zwei, drei Monate vor dem Anlass. "Beim Übernehmen von Bestehendem würden sich zu viele Fehler einschleichen", ist HansjÜrg Holliger Überzeugt. Ein anderes Instrument, um Fehler zu vermeiden, sind Kontrollen der technischen Einrichtungen. Eine nicht richtig gesicherte Kamera könnte Personen verletzen oder ein nicht präzis montierter Stecker könnte den Ausfall eines Gerätes mit grosser Wirkung verursachen. Seit dem Stromunterbruch vor vier Jahren am Leichtathletik-Meeting in Lausanne zählt ein Notstromaggregat zur Standardausrüstung des tpc. Ein Anlass von solcher Grösse und Bedeutung erfordert eine minuziöse Vorbereitung. Vor Ort wird am Tag zuvor aufgebaut. Punkt acht Uhr werden die Fahrzeuge nach einem detaillierten Plan durch das Tor an der Baslerstrasse reingelassen. Dieses Jahr gab es einen kleinen Zwischenfall: Ein ausländischer TV-Wagen hat sich nicht an den Parkplan gehalten und prompt auf den Feldern des tpc parkiert. Projektleiter Hansjürg Holliger rief umgehend den Abschleppdienst. Der Chauffeur des falsch geparkten Wagens und der Abschleppdienst trafen gleichzeitig ein. "Mit der einen Hand konnte der Fahrer die Wagentür aufschliessen und mit der andern das Portemonnaie zücken, um für die vergebliche Anfahrt zu bezahlen", erzählt Holliger. Dieser Vorfall kostete das tpc rund eine Stunde Zeit für die Aufbauarbeiten zweier Wagen. Kurz vor Feierabend wurden die ersten technischen Proben abgenommen. Am nächsten Tag, am Tag der Weltklasse Zürich, trifft sich die 66-käpfige Crew im Supporterraum des FCZ zur Regiebesprechung. Martin Frei, SF DRS-Sportproduzent, ruft die Bedeutung der Weltklasse Zürich nochmals in Erinnerung. Im Vergleich zum letzten Jahr wurden heuer keine grossen Veränderungen vorgenommen. Es wird auf dem Bewährten von 2001 aufgebaut. Regisseur Jochen Vogel wendet sich an die Kameraleute: "Der heutige Zeitplan bietet etwas mehr Luft. Side-Stories, welche die Atmosphäre visualisieren, sind willkommen. Doch unser Schwergewicht liegt ganz klar auf dem sportlichen Ablauf." Projektleiter Hansjürg Holliger bittet die Anwesenden, ihm nach dem Anlass ein Feedback zukommen zu lassen, damit Schwachstellen im nächsten Jahr ausgemerzt werden können. Von 15.30 bis 16.30 Uhr proben die Regisseure mit ihren Kameraleuten die Abläufe. Die eigenen Leute im Stadion werden kurzerhand auf die acht Bahnen verteilt, um die Vorstellung der acht Athleten für den 100-Meter- Lauf zu proben. Übernimmt die Kamera sechs die ersten zwei Bahnen oder ist es die Kamera vier? Script Anja Friedrich und Regisseur Jochen Vogel sind sich uneinig. Die Champagner-Wette gewinnt schliesslich die Script. Bis um 19.30 Uhr zum Auftakt des Anlasses mit dem 1500-Meter-Rollstuhllauf muss jeder Handgriff sitzen. Dann sollte einfach noch die Technik funktionieren ... - und sie wird es. Nach 18 Uhr kommt Leben ins Stadion, die nationalen Juniorenläufe und B-Serien beginnen. Kurz vor der Athletenpräsentation erscheint die Prominenz aus dem VIPZelt. Die Zürcher Regierungsrätin Rita Fuhrer kommt in Begleitung ihres Mannes und wird gleich von Journalistinnen und Fotografen für ein Kurzinterview abgefangen. Davon bekommt die tpc-Crew nichts mit. Sie hat längst ihren Platz eingenommen - ihr Countdown läuft. Dass Holliger ein professionelles Team hat, beweist die Tatsache, dass er am Freitag lediglich 17 Natelkontakte verzeichnete. Am Vortag waren es noch 64 und zuvor 87. Jeder weiss, was sein Job beinhaltet. So kann sich Hansjürg Holliger schon vor Sendebeginn den grossen Abbau für Freitagnacht vorbereiten, denn am Samstagmorgen muss ein Teil der Fahrzeuge bereits in Aarau stehen. Fussball ist dann angesagt. Am Ende der Veranstaltung wird er nur lobende Worte für seine Leute finden: "Alles hat geklappt. Ich bin sehr zufrieden." Um 22.15 Uhr sind die sechs technischen Disziplinen abgeschlossen. Der 5000-Meter- Lauf der Männer beendet das diesjährige Meeting. Regisseur Walter Chiovato bedankt sich bei seinem Team im XL2 und bittet es, da zu bleiben, falls die Technik noch etwas wünscht. Vielleicht als Einspielung ein Zuschauerbild oder den zunehmenden Halbmond, der Über dem Dach des Letzigrundes erscheint. An Schlaf kann die tpc- Crew vorläufig nicht denken. Während das Publikum aus dem Stadion strömt, beginnen für die tpc-Leute die Abbrucharbeiten - jede und jeder packt an. Und bevor Projektleiter HansjÜrg Holliger müde ins Bett sinkt, wird zu Hause mindestens eine Stunde vergehen, bis die Anspannung nach einem solchen Tag nachlässt und die Ruhe der Nacht einkehrt. Text: Ursula Siegenthaler Fotos: Christian Wyss | |||||||||||||