Spitzenleistung

Skiweltmeisterschaft 2003: Nie zuvor hat die Schweiz ein grösseres Medienereignis erlebt. Bravourös die Arbeit des tpc, das sich in St. Moritz technisch die Goldmedaille sicherte. Ein Augenschein vor Ort.

Corinne Rey Bellet rast auf das Ziel zu. Ihre Hocke scheint perfekt - bis zum letzten Meter. Gefilmt wird sie dabei von der Seilbahnkamera, welche die Fahrerinnen jeweils eingangs Zielhang ins Visier nimmt und parallel hinuntergeleitet.

Bestzeit! Die Schweizer Abfahrerin reisst die Arme in die Höhe. Die Krankamera macht einen Schwenker. Gerade noch rechtzeitig, um das enttäuschte Gesicht von Brigitte Obermoser, der bisher Führenden, einzufangen. Neun Fahrerinnen und ein paar tiefe Seufzer später steht fest: Corinne Rey Bellet gewinnt Silber. Geschlagen wird sie nur noch von der Kanadierin Melanie Turgeon.

Spätabends, in der lärmigen Hotellobby, wird Werner Good befinden: «Heute ist wirklich alles top gelaufen.» Anzutreffen ist er derweil mit der Handkamera im Zielraum, zuständig für die Flash-Interviews, die SF DRS-Moderator Matthias Hüppi mit verschiedenen Sportlerinnen führt. Unterstützung erhält der erfahrene Live-Kameramann bei seinem Job von einem Beleuchter. Das ist auch nötig. Denn: Bescheint die Sonne den weissen Schnee, wirkt das Gesicht in der Kamera dunkler und muss deshalb aufgehellt werden.

Und die Sonne gibt an diesem Tag, bezeichnenderweise dem Sonntag, wahrlich ihr Allerbestes. Strahlend blau der Himmel, glitzernd weiss der Schnee. Ein Bilderbuchwetter, das schöner nicht sein könnte! 17’000 Skifans zählt das Organisationskomitee. Herbeigeströmt sind sie aus all den umliegenden Wintersportorten, aufgetaucht aus dem Unterland, eingeflogen aus dem nahen und fernen Ausland. Auch mehrere Guggenmusigen haben die zähe Hochnebelgrenze durchstossen. Sie pfeifen und kesseln bereits lauthals, als Nadine Vinzens vor dem Rennen mit dem Heli landet. Den Kameralinsen entgeht nichts: Eine zoomt auf die Miss Schweiz, während diese den Schneetöff besteigt und den Slalomhang hinuntersaust. Eine andere hat Prominente entdeckt: Prince Edward und Sophie, die Countess of Wessex.

Im Vorfeld der alpinen Ski-WM rätselte die halbe Welt: Wird es eine WM der Favoriten, der alten Hasen oder der Überraschungen? Nach den ersten Rennen war schon klar, dass es in St. Moritz bis ans Ende spannend bleiben würde. Ganz anders in Bezug auf die gesamte Technik: Da steht spätestens zu Beginn der zweiten WM-Woche fest: Das tpc führt souverän! Zusammen mit den Kolleginnen und Kollegen von TSR und TSI sorgt es für einen reibungslosen technischen Ablauf. Sei dies am Berg, im Zielraum mit den Kommentatorenkabinen, den Studios, dem TOC (Technical Operation Center), im TV-Compound, der Regie oder unten in St. Moritz Bad, wo das IBC (International Broadcast Center) stationiert ist.

Siebzig Tonnen technisches Material hat tpc-Mann Rolf Sigrist nach St. Moritz beordert. Nebst der gesamten Audio- und Videotechnik auch mobile WC-Kabinen, Büroeinrichtungen und gar eine komplette Küche. Rolf Sigrist ist für alles verantwortlich, was am Berg läuft. An die 120 Leute werden von ihm disponiert: «Die grösste Planung, die ich je gemacht habe.» Sie stehen entweder direkt am Hang, in einem der fünf Hubs (Technik-Knotenpunkte) im Einsatz oder arbeiten im TOC. Nicht miteingerechnet sind hier die Teams in den Regien, im IBC etc.

Insgesamt ist die SRG SSR idée suisse als Host Broadcaster, Produzent von Bild und Ton also, mit 320 Fachleuten vor Ort. Alle leisten seit Wochen Überdurchschnittliches. Die Dauerpräsenz zehrt an den Kräften. Am kommenden Dienstag, dem geplanten Reservetag für verschobene Rennen, werden einige von ihnen voraussichtlich den ersten freien Tag seit langem haben. Was sie dann tun werden? Die meisten sind sich einig: «Wenn das Wetter hält, dann nix wie auf die Skier.»

In der ersten WM-Woche war es nämlich zum Teil empfindlich kalt. Gerade die Leute in und um die Hubs kämpften mit Temperaturen bis zu minus 25 Grad Celsius. Die Witterungsprobleme führten auch dazu, dass die Elektronik einer Krankamera repariert werden musste. Sie war über Nacht durch den eisigen Wind beschädigt worden. Eine heikle Sache. August Reinhard, Technischer Gesamtleiter tpc: «Aufgrund des schlechten Wetters verspätete sich schliesslich auch noch unser Kamera- Helikopter. Er konnte erst am Freitag über den Julier fliegen.»

Erleichtert über die Wetterbesserung zeigte sich auch die «Gegenhang-Crew» auf dem Piz da l’Ova Gotschna. Da der tägliche Versorgungsflug des schlechten Wetters wegen ausfiel, musste sie ihren Benzin-Notvorrat anzapfen. Dass das Dreierteam im Container oben auf dem Berg übernachten musste, darauf hatte es sich eh schon eingerichtet. Übrigens: Die hier stationierte Gegenhang-Kamera kann mit ihrem 90fach-Zoom sogar einen Innenskifehler auf der Gegenseite ausmachen!

«Okay, alles dran. Wohin jetzt?», fragt der Helikopterpilot den tpc-Logistikchef Thomas Reinprecht. Der wirft einen Blick auf seine Skizze und zeigt nach rechts auf den Hub Nummer 3. Der Heli fliegt eine kleine Schlaufe, beschleunigt kurz, stoppt wieder und klinkt exakt über Hub 3 das Transportnetz mit Kamerakisten etc. aus. So wird tagtäglich auf Anweisung von Thomas Reinprecht Material verschoben. Von Hub zu Hub. Heute Nachmittag vom Start Abfahrt Damen zum Start Kombinationsabfahrt Damen, die morgen Montag auf demProgramm steht.

Im Zielgelände von Salastrains, direkt neben dem Eingang, stehen hundert Millionen Franken. So viel beträgt der geschätzte Wert aller Geräte, die sich im TVCompound befinden. Versammelt haben sich hier die Mittel- und Endregie der SRG SSR sowie alle internationalen Broadcaster. Das tpc ist unter anderem mit seinen beiden grössten Reportagewagen präsent. Bereits die Anreise damit wurde zum Erlebnis: Ohne Spezialbewilligung und Polizeibegleitung hätten es die Sattelschlepper wohl nie über den Julierpass geschafft. Auf der Strecke von St. Moritz Dorf nach Salastrains wurde gar extra eine Kurve für sie ausgebaut.

Dieser Umstand kam auch dem ORF zugute, der mit seinem allergrössten Übertragungswagen angereist ist. Der Aufwand hat sich für die Österreicher gelohnt: Während der Herrenabfahrt verzeichnete der ORF Rekord- Einschaltquoten. Auch der Sender NBC liess eine riesige Ausrüstung ins Oberengadin transportieren. Keine Frage also, dass der grosse Wagenpark rund um die Uhr streng bewacht wird.

Pausenlos verkehrt der Shuttle. Er bringt die Medienleute vom Zielgebiet rasch hinunter ins IBC. Im internationalen Radio- und Fernsehzentrum sind im Containersystem Schnitträume, Redaktionsbüros etc. untergebracht. So belegt jeder der insgesamt 29 Radio- und Fernsehsender zumindest ein eigenes Kabäuschen. Einige haben es sich schon fast wohnlich eingerichtet: Hier hängt eine schwedische Flagge neben der schmalen Tür, da prangt das Signet von RAI-Sport an der dünnen Wand... Unübersehbar der ZDF-Sport mit seinem riesigen Logo, der zusammen mit den Kollegen von der ARD gleich eine ganze Containerstrasse belegt. Vor dem umfunktionierten Tenniscenter stehen die Satellitenwagen in Reih und Glied. Sie schicken Bild und Ton in alle Welt.

Die letzten Sonnenstrahlen verschwinden, im Nu nachtet es ein. Feierabend für die Fernsehleute? Weit gefehlt! Jeden Abend, exakt um halb sieben, geht es für die TSR-Crew auf dem alten Schulhausplatz in St. Moritz Dorf los: Die besten Fahrerinnen und Fahrer des Tages werden geehrt, die Startnummern für die nächsten Rennen ausgelost. Noch vor der Siegerehrung singen sich an diesem Sonntagabend Plüsch, die sympathischen Popper aus dem Berner Oberland, in die Herzen der Oberengadiner.

Ein Meer aus Rot und Weiss während der Siegerehrung: Die drei weltbesten Abfahrerinnen aus Kanada, Österreich und der Schweiz haben noch mehr gemeinsam als den heutigen Erfolg. Zum Beispiel die Farben ihrer Landesflagge... Und für Corinne Rey Bellet wurde noch zusätzlich die Walliser- Fahne geschwenkt, die ja - wie könnte es auch anders sein - ebenfalls rot-weiss bedruckt ist.

Gleich anschliessend, um zwanzig Uhr, rückt das «WMStudio» ins Zentrum der tpc-Arbeit. Pikantes Detail: Das temporär aufgebaute Studio von SF1 thront zusammen mit denjenigen des TSR, der ARD und des ORF zualleroberst auf dem schwindelerregenden Gerüst im Zielraum. Eine Etage unterhalb sind die Kommentatorenkabinen eingebaut. Diese stützen sich wiederum auf die Tribünen ab.

Die ganze Konstruktion wirkt recht ausgeklügelt. Allerdings gilt aus Sicherheitsgründen eine Platzbeschränkung: Maximal zehn Personen dürfen sich pro Studio hier oben aufhalten. So sind wohl die Zutrittsberechtigungen zu diesen Studios die begehrtesten der WM. Noch gefragter als diejenigen, die Otto Normalverbraucher Einlass in «Thury’s VIP-Lounge» gewähren würden. Obwohl doch in Arthur Hächlers Reich die wichtigen Persönlichkeiten pausenlos ein- und ausgehen. Gestern beispielsweise wärmte sich hier Bundesrätin Ruth Metzler auf. Und heute genehmigtesich Adolf Ogi ein Gläschen in der Lounge des WM-Projektleiters.

Endlich, nach neun Uhr abends, ist Schluss für das operative tpc-Studioteam. Während die einen auf den Shuttle warten, nehmen die anderen den Schellenursliweg runter ins Dorf. Eine gute halbe Stunde soll der Abstieg von Salastrains nach St. Moritz Bad dauern. Den schnellsten Weg ins Tal kennt Erik Zetterholm, ein junger Tontechniker: Er montiert kurzerhand Snowboard und Stirnlampe und schwingt sich allabendlich locker den Hang hinunter.

Text: Brigitte Maurer
Fotos: Niklaus Spoerri,
Christian Wyss