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Laufen im «Altstadt-Dschungel» |
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Oberhalb der Schlosstreppe, unter einem schattigen Mauervorsprung, warten die tpc-Monteure. Zu ihren Füssen schlängelt sich meterweise oranges Kabel. Fachmännisch geschichtet, zum sofortigen Abrollen bereit. Noch wirken die Gassen der Altstadt wie ausgestorben. Aber die Sonne brennt bereits gnadenlos vom strahlend blauen Himmel. Der wievielte Hitzetag in Serie, der wievielte im heurigen Jahrhundertsommer dieser Dienstag anfangs August wohl ist? Den Monteuren bleibt keine Zeit, solchen Fragen nachzuhängen. Vom Kirchturm schlägts halb zwei Uhr, als der Van mit der tpc-Kameracrew vor den Wartenden stoppt. Heraus springen die Profis, die Kameras bereits geschultert. Ab sofort zählt jede Minute! Ein paar Gassen weiter hat sich nämlich soeben der letzte Athlet in Quarantäne begeben. Kurz darauf werden endlich die einzelnen Kamerastandorte offiziell bekannt. Als streng geheim galten sie bis jetzt, damit keiner aufgrund ihrer Platzierung auf die Lage eines OL-Postens schliessen konnte. Einzig das Organisationskomitee (OK) und die Fernsehleute kannten die Standorte schon Monate im Voraus. Schliesslich waren sie bei der Planung einzubeziehen, kann doch für diese Übertragung niemand auf einen Erfahrungswert zurückgreifen. Die bevorstehende OL-Livesendung wird also weltweit Premiere haben. «Uns steht», erinnerte SF DRS-Produzentin Karin Nussbaumer zuvor an der Regiebesprechung die Verantwortlichen, «eine anspruchsvolle, eine schwierige Produktion bevor». Die Erwartungen an das Fernsehteam sind in den letzten Wochen täglich gestiegen. Wurde der Orientierungslauf früher von den Medien noch stiefmütterlich behandelt, stiess die erst zum zweiten Male in der Schweiz ausgetragene OLWM schon im Vorfeld auf unerwartet viel Echo. So drehen nebst SF DRS auch private TV-Regionalsender vor Ort. Und zusätzlich zu den skandinavischen Fernsehstationen, die nach dem Rennen vom tpc Aufzeichnungen beziehen, hat auch die Eurovision 15 Minuten Highlights bestellt. Die Fernsehmacher konzentrieren sich aber vor allem auf die Livesendung. Sie soll reibungslos übertragen werden und mitunter den OL-Sport in der Schweiz populärer machen. Dafür hat das tpc in der Vorwoche zwei Kilometer Glasfaserkabel gelegt von der Eishalle im Lido bis zum Fischmarkt in der Altstadt. Hier steht mittlerweile auch der Reportagewagen M, der die Signale aller fünf Altstadtkameras aufnimmt und an den XL unten bei der Eishalle weiterleitet. Dreieinhalb Kilometer Kamerakabel ziehen sich wie ein roter Faden quer durch die Altstadt: mit dem Skyworker an Fassaden gehängt, entlang der Häuserzeilen am Boden gelegt oder über Schaufensterpassagen geführt. tpc data hat für den OL am Bildschirm sogar eine eigene Software entwickelt. So betreut Rolf Burri, Leiter data, zusammen mit seinem Team alle Einblender für die Live- Kiste und die Zusammenschnitte. Die Daten werden von einer speziellen Datenbank abgerufen, grafisch aufbereitet und entsprechend dargestellt. Zur Verfügung steht eine Fülle von Läuferinfos wie Name, Zeit, aktueller Rang oder Nationalität, aber auch topaktuelle Ranglisten. Regiewünsche können innert Sekundenfrist berücksichtigt und umgesetzt werden. Das data-Team sitzt im Car der italienischen Zeitmessungsfirma und empfängt hier die Anweisungen. Oben in der Altstadt: Die tpc-Mitarbeiter schnappen sich die Kabelenden und eilen zu Fuss, die Kabel hinter sich herziehend, zu den nahe gelegenen Kamerastandorten. Alberto Morand, verantwortlich für die Startkamera, trifft fast gleichzeitig mit einem Dutzend Rekruten am vorgesehenen Start ein. Das Militär zimmert in Windeseile eine hölzerne Startrampe und spannt den Auslöser für die Zeitmessung. Hundert Meter die Gasse hinauf richtet sich Kameramann Oliver Wills ein. Er bedient die zweite Altstadt-Kamera und wird später in der gleissenden Sonne auf einem kleinen Gerüst stehen. Geschützt durch einen alten Sonnenschirm, den er sich von einer grosszügigen Rapperswilerin ausgeliehen hat. Von hier nimmt er die Läuferinnen ab Start ins Visier, verfolgt sie zum ersten OLPosten, bevor sie leichtfüssig um die nächste Ecke verschwinden. Bei der Schlosstreppe geblieben ist Guy Perrenoud, der den Auftrag hat, die Athleten auf dem Hauptplatz und auf der mit Blumen bepflanzten Treppe zu filmen. Von ihm erwartet die Regie wirkungsvolle Stimmungsbilder. Noch zwei weitere Kameras werden in der Stadt aufgestellt: Die eine auf der Terrasse der «Touristinfo», gleich neben dem OK-Kommentatorenpult. Die andere ein Stück weiter auf dem Seedamm, da wo die Zwischenzeit genommen wird. Am Uferweg beim Minigolf ist die sechste platziert, Nummer Sieben bewacht den Eingang zur Eishalle. Drinnen verfolgen zwei Kameras den Zieleinlauf, eine weitere fängt Emotionen ein und begleitet SF DRS-Moderator Mario Denzler zu Interviews. Macht total zehn Kameras. Insgesamt fünfzig tpc- Leute wurden für den heutigen Tag aufgeboten: Kameraleute, Tontechniker, Monteure etc. Beat Zumstein, als tpc-Projektleiter verantwortlich für die gesamte WMProduktion, ist bereits gestern angereist. Gleichentags eingetroffen ist auch der grosse Reportagewagen XL, der heute Morgen noch von zwei kleineren, den Ms, inklusive Materialwagen Gesellschaft erhalten hat. Zwischen zwei und drei Uhr nachmittags machen sich die Testläufer für die Kamera- und Grafikproben bereit. Unter ihnen Matthias Gilgien, der für die WM knapp nicht selektioniert wurde und zumindest bis gestern als erster Ersatz noch auf einen Startplatz hoffen durfte. Auch wenn jetzt daraus nichts geworden ist, freut er sich auf das Stadtrennen: «Ich hab mich schliesslich zwei Jahre lang auf diese WM vorbereitet». Wer heute wohl gewinnt? Matthias Gilgien überlegt nicht lange: Simone Luder oder Marie-Luce Romanens bei den Frauen, Yuri Omeltchenko der Mann mit der Glatze bei den Männern. Die Altstadt füllt sich langsam mit Publikum: Gruppen junger OL-Fans aus dem Inund Ausland schlendern durch die Gassen. Die Frauen im Bikini, die Männer in Shorts, die einen blond, die andern schwarzhaarig. Und alle zünftig braun gebrannt. Wahrlich ein Rekordsommer, der da in ganz Europa stattfindet! Um 15 Uhr ist der Check abgeschlossen und die Altstadt-Crew flüchtet in den Schatten. Immer mehr Menschen strömen vom Bahnhof zur Eishalle im Lido. Kurz vor vier Uhr steigt hier die Eröffnungsfeier, die mit zwei Kameras vom tpc-M-Wagen im Auftrag des OK produziert und auf der LED-Wand gezeigt wird. In der Halle ists brutal heiss, man schätzt 40 Grad oder mehr, die Luftfeuchtigkeit tropisch ... Mineralwasser fliesst literweise den Gaumen hinunter, der Schweiss rinnt unablässig. Doch das OL-Publikum ist so zäh beschaffen wie die von ihm gefeierten Asse: Es harrt mehrere Stunden, bis zur Siegerehrung, tapfer in dieser riesigen Sauna aus. Und mit ihm, zumindest zeitweise, Bundesrat Samuel Schmid sowie viele Medienleute. Die Eröffnungsfeier dauert bis zwei Minuten vor Start der Livesendung. Die Reden und der Einzug des OL-Nachwuchses aus 41 Nationen werden vom tpc aufgezeichnet. Um 16.25 Uhr schaltet SF2 live zum Start. Kamerazoom auf das konzentrierte Gesicht des ersten Läufers. Wenige Sekunden später durchbricht dieser die Schranke der Zeitmessung, schnappt sich eine Karte und rennt los den Blick auf den Plan gerichtet. Sekundenschnell muss er sich darauf zurechtfinden. Sonst bleibt er chancenlos. Es gilt, in der nächsten Viertelstunde zwölf Posten anzulaufen. Dabei muss er mit dem wie ein Ring am Finger getragenen Badge jeden Posten elektronisch quittieren. Wie und in welcher Reihenfolge er die Posten schafft, ist jedem Läufer freigestellt. Beim Start weiss er nur gerade, dass sich das Ziel in der Eishalle befindet. Gestartet wird übrigens nach umgekehrter Weltrangliste, was heisst, dass die Favoriten jeweils erst am Schluss ins Rennen gehen. Im Minutentakt sprintet ein Athlet nach dem andern los, wieselt kreuz und quer durch das Städtchen. In den Gassen staut sich die Hitze, das Kopfsteinpflaster fühlt sich an wie ein Speicherofen. Erstaunlich viele Menschen, schätzungsweise über zweitausend, säumen die Gassen, bevölkern den Fischmarkt, warten am Seedamm. Freiwilllige Helfer sorgen dafür, dass sie den Rennenden nicht im Wege stehen. «Joouu» klingts von links, «heya» von rechts. Die Läuferinnen werden begeistert angefeuert, werden heftig beklatscht. Stadtbewohner winken aus dem Fenster, die Strassencafés sind voll besetzt. Auf dem Hauptplatz drängen sich die Zuschauer: Kameramann Guy Perrenoud geht beinahe in der Menge unter. Sein Job hier steckt voller Überraschungen. Weil beim OL die Postenreihenfolge nicht fix vorgegeben ist, peilen die Athletinnen die Schlosstreppe von allen Seiten her an: mal von oben, dann von unten, von links oder von rechts! Damit wird auch Rainer Herrmann konfrontiert, der die Kamera am Fischmarkt, auf der Terrasse des «Touristinfo », bedient. 28 Jahre lang ist er bereits im Geschäft, doch eine OL-Produktion hat auch er noch nie miterlebt: «Viel Kommunikation gibts heute. Immer wieder Tipps, welcher Läufer wo auftauchen könnte». Die Tipps kommen von Patrick Denzler, der sich auf derselben Terrasse eingerichtet hat. Hier kurz vor der Zwischenzeit und vor einer traumhaften Seekulisse hat das OK die eigentliche Schlüsselstelle des Rennens geortet. Patrick Denzler, OL-Läufer und zufällig Bruder von SF DRS- Moderator Mario Denzler, unterstützt die Fernsehcrew mit seinem Know-how. Ebenso wie Dominik Humbel, ehemaliger Staffel-Weltmeister. Knapp 13 Minuten braucht der Sprint-Sieger der Männer, Jamie Stevenson (GB), für die WM-Strecke. Nahtlos an die Männer starten die Frauen. Mit Startnummer 48 Marie-Luce Romanens, mit Nummer 52 Simone Luder als letzte Athletin. Minuten darauf: Hinter der Kamera beim Posten vor dem Ziel, respektive dem Einlauf in die Eishalle, steht Franz Reinmann und gibt die allerneusten Infos an die Zuschauer weiter, die ihn umringen: «Beste Zwischenzeit für Simone Luder!» Schnell duckt er sich wieder hinter die Kamera, um die letzten Meter von Marie-Luce Romanens nicht zu verpassen. «Yayaya»! Nur Minuten später taucht Simone Luder vor der Linse auf, kämpft sich über die letzten Meter. Und läuft unter Jubel und tosendem Beifall in die schier unerträglich heisse Eishalle ein. Sofort wird sie von Betreuern und Medienleuten umringt, die mindestens ebenso schweissgebadet sind wie die Sportlerinnen. Für die Interviews bleibt SF2 noch kurz live auf Sendung. Die Siegerehrung danach wird aufgezeichnet. «Aus technischer Sicht scheint alles gut gelaufen, unser Konzept hat sich bewährt », so Beat Zumsteins spontanes Fazit. Einzig zu Beginn hat sich bei der Grafik ein Datenübertragungsfehler eingeschlichen. Morgen früh wird Beat Zumstein die Anweisungen für den Abbau erteilen und nach Eschenberg fahren, wo das tpc die Langdistanz mit ENG-Teams und News Van einfangen soll. Zuerst aber wird er sich nach getaner Arbeit mit seiner Crew ein kühles, wohl verdientes Bier gönnen. Text: Brigitte Maurer Fotos: Nik Hunger | |||||||||||||