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Studio auf zwei Rädern |
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Wenn sich Oscar Camenzind im Wiegetritt den Klausenpass hochquält, sind die Kamera-Motorräder des tpc nicht weit. Insgesamt werden an der diesjährigen, 1450 Kilometer langen Tour de Suisse drei Motorräder eingesetzt. Für die Zuschauer der Live-Übertragung bedeutet dies spannende Einblicke ins Renngeschehen, für die Motorrad-Crew Aufnahmen nahe am Limit. Die Kameraleute werden vornehmlich aus der ENGEquipe rekrutiert. Die Motorradfahrer sind neben dem langjährigen tpc-Mitarbeiter Max Büchel meist ehemalige Radsportler. Um die Sicherheit für Motorradfahrer und Kameramann zu verbessern, hat das tpc auf diesen Frühling hin zwei ältere Motorräder aus seiner vier Einheiten grossen Flotte durch zwei neue BMWModelle des Typs R 1150 RT ersetzt. Die sechsgängigen Maschinen verfügen über einen 2-Zylinder-4-Takt-Boxermotor mit 95 PS und weisen ein Leergewicht von 279 Kilogramm auf. Dieses ansonsten vornehmlich als Polizei-Motorrad eingesetzte Behördenfahrzeug wurde unter der Detailplanung des tpc-Mitarbeiters Markus Brockmann zu einem vortrefflichen Kamera-Motorrad umgerüstet. Neben Installation und Verkabelung der technischen Aufbauten erforderte die nach ökonomischen Gesichtspunkten vollzogene Aufteilung der verschiedenen systemabhängigen Stromkreise eine akribische Planung und Umsetzung. So ist es nun beispielsweise bei einem Stillstand des Motorrades möglich, auch weiterhin Funk- und GPS-Signale zu empfangen. Link- und Funkantenne wurden montiert, ebenso wie Komponenten des Kommunikationssystems (Regie-Gegensprechen, Radio- Tour mit internen Informationen über das Renngeschehen und GPS zur Ortung der Fahrzeuge durch die Regie). Eine Zusatzbatterie wurde eingebaut, ebenso wie ein in der Seitentasche montierter Sender für die Signalübertragung. Der gesamte Aufbau wiegt rund 45 Kilogramm etwa 25 Kilogramm weniger als 1976 die gesamte ENG-Ausstattung. Das Schweizer Fernsehen DRS leistete damals an der Tour de Suisse mit dem versuchsweisen Einsatz mobiler Video-Aufzeichnungsgeräte (ENG) europaweit Pionierarbeit. Das Renngeschehen musste nicht mehr auf 16- mm-Film aufgezeichnet, mit Auto oder Helikopter ins Studio transportiert und dort entwickelt werden. Die aufgezeichneten Sequenzen konnte man von nun an blitzschnell via Richtstrahlverbindungen an den Bestimmungsort übermitteln. Ein weiterer technischer Quantensprung geschah 1986: SF DRS produzierte mit der Live-Übertragung der Strassen-WM im Rheintal erstmals ein Radrennen in voller Länge. Fünf Jahre später wurde die Live-Berichterstattung auch bei der Tour de Suisse eingeführt. Wie funktioniert die Übertragung? Die von der Motorradkamera eingefangenen Signale werden via Sender über eine Richtstrahlverbindung an den Relais-Helikopter übermittelt. Von dort gelangen die Signale über eine stationäre Relais-Station ins Zielgelände. Dieser Vorgang dauert weniger als eine Sekunde. Seit ein paar Jahren wird bei Etappen mit topografischen Schwierigkeiten und grossen Distanzen der Helikopter von einem Relais- Flugzeug mit Langsamflugeigenschaften unterstützt. Dieses sendet die von Motorrad- und Helikopterkameras übermittelten Signale direkt ins Ziel. Die bisher eingesetzte PC-6 wird in diesem Jahr von einer allwettertauglichen PC-12 abgelöst, die eine Flughöhe bis 8000 Meter erreichen kann. Ihren ersten Ernsteinsatz hatten die beiden neuen BMW-Motorräder Ende April an der Tour de Romandie. «Sie haben unsere Erwartungen erfüllt», sagt Peter Flückiger zufrieden. Zusammen mit Günter Kaiser ist Peter Flückiger beim tpc für die technischen Belange der Radübertragungen zuständig, und als Projektleiter hat er die Anschaffung der beiden neuen Kamera-Motorräder vorangetrieben. «Selbst bei langsamer Geschwindigkeit weisen die Motorräder ein stabiles Fahrverhalten auf. Dank der Ölkühlung ist dabei eine bei anderen Typen auftretende Überhitzung praktisch ausgeschlossen », nennt er die Pluspunkte der beiden Neuanschaffungen. So gedenkt man, die «mobilen Studios auf zwei Rädern» auch bei anderen Sportproduktionen wie Marathon und Inline-Rennen einzusetzen. Den nächsten Einsatz bestreitet die Motorrad- Crew an der Deutschland- Tour vom 31. Mai bis zum 6. Juni und anschliessend an der Tour de Suisse vom 12. bis zum 20. Juni. «Das tpc geniesst bei der Produktion von Radrennen international einen sehr guten Ruf. Wir sind bekannt für unsere Innovationen», so Peter Flückiger. Ein Novum hat das Produktionsteam von tpc und SF DRS auch in diesem Jahr in petto. Mit einer Velokamera erhoffen sich die Fernsehmacher noch spektakulärere Bilder aus dem Fahrerfeld. Ist die Zeit der Kamera- Motorräder damit bald abgelaufen? «Nein», schmunzelt Peter Flückiger. «Die Velokamera ist als Effekt gedacht und zeigt lediglich eine detaillierte Perspektive. Das Kamera-Motorrad kann dagegen sowohl einen Überblick über das Renngeschehen vermitteln als auch Details einfangen.» So wird das Kamera-Motorrad auch in Zukunft Oscar Camenzind dicht auf den Felgen bleiben. Selbst bei Tempo 90 vom Klausenpass. Text: Peter Küchler Fotos: Werner Koschig | |||||||||||||